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Ich habe die “Kleine Geschichte” von A bis Z gelesen. Nun liegt das ausgelesene lila Buch vor mir. Ein wenig schief gelesen, aber sonst wie neu, völlig intakt, ohne Marginalien, denn die habe ich separat niedergeschrieben (in Büchern malt man nicht herum, schon gar nicht in guten). Hier meine Besprechung:
Was fällt sofort ins Auge? Der lila Einband mit der freundlichen Landschaft auf dem Titel, mit der Burg Steinsberg im Hintergrund. Schon die Titelseite zeigt uns das verbindende Element einer ansonsten von zahlreichen Brüchen geprägten Durchgangslandschaft zwischen Schwarzwald und Odenwald: die freundliche, unspektakuläre, hügelige Landschaft des Kraichgaus. “Rolling Country” nennen so etwas die Engländer.
Brüche und endlose Konflikte: Eine konsistente Einheit, eine kontinuierlich verlaufende Entwicklung hat es im Kraichgau zu keiner Zeit gegeben. Das wird uns beim Lesen von Adams Buch immer klarer. Auseinandersetzungen waren fortwährend das prägende Element. Gewaltigen Ärger gab es zwischen Fürsten und Rittern, Rittern und Bauern, Katholiken und Evangelischen, Christen und Juden, Badenern und Württembergern, Franzosen und Deutschen, Kleinbauern und Städtern – um nur einige der Streithähne aus der langen Liste herauszupicken.
Anders als der bescheidene Titel erwarten ließe, Adams “Kleine Geschichte” liefert Fakten im Überfluss. Dieses Buch ist ein gutes Stück Arbeit gewesen, über Jahre recherchiert, erwandert und auf der Basis eines profunden Geschichtsverständnisses sicher nicht so mühelos niedergeschrieben, wie es sich liest.
Schwierige Sachverhalte werden kurz und knapp und vor allem verständlich erklärt. Der Autor formuliert leicht und locker, nimmt den Leser mit auf die Reise durch die Jahrtausende. Seine Gliederung ist nachvollziehbar, die Kapitelüberschriften machen neugierig auf die Inhalte. Eingestreute Abbildungen bieten zusätzlich Informationen, und grau unterlegte Texte im Kasten sind wie Meilensteine im Lauf der kleinen Geschichte.
Bisweilen setzt Adam Ausrufzeichen mit Formulierungen, die wirken wie ein Peitschenknall, machen nachdenklich und halten die Aufmerksamkeit des Lesers hoch; hier einige Kostproben:
“In der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts bröckelte die römische Macht östlich des Oberrheins, in der zweiten zerfiel sie.” (S. 26)
“Gau als Naturraum, Gau als Herrschaftsgebiet: Der Unterschied ist wesentlich.” (S. 34)
“Auf das Kloster ging im 8. Jahrhundert ein wahrer Sturzbach frommer Zuwendungen nieder.” (S. 53) Gemeint ist die Benediktinerabtei Lorsch. (S. 53)
“Aber was heißt das schon. Beachtlich war allenfalls die Zahl der Zwergstädtchen, gering jedoch ihre überregionale Bedeutung.” (S. 63) – stadtgewordene Dörfer im 13. Jahrhundert
“Das alles gereicht den Rittern zu manchem Vorteil, stürzt sie aber schließlich auch in erhebliche Schwierigkeiten.” (S. 76) – im 15. Jahrhundert
“Pfälzer? Schwaben? Oder was?” (S. 78) – im 16. Jahrhundert
“Und doch blieb in diesem Frühjahr die ersehnte Freiheit nur ein kurzer fiebriger Traum.” (S. 95) - 1525 Bauernkriege
“Drei Jahrzehnte, über die es weit einfacher ist, viel zu erzählen, als wenig.” (S. 116) – Dreißig Jahre Krieg
“Worum ging es? Ludwig reklamierte die Erbfolge in der Kurpfalz für seinen Bruder, Herzog von Orléans, es träumte dem Sonnenkönig vom Rhein als Ostgrenze Frankreichs.” (S. 126) – Pfälzischer Erbfolgekrieg
“Nun erst empfand man die Widersinnigkeit der Staatsgrenzen. Der Kraichgau wurde vom Durchgangsraum zum nachgeordneten Grenzraum. Es wurde nicht investiert. Straßen verfielen.” (S. 149) – nach 1803
“Kaum irgendwo in Deutschland war der Grad der Zersplitterung bei Grund und Boden so stark wie im Kraichgau.” (S.156) – eine Folge des Erbrechts
“Je näher die Eisenbahn, desto stärker der Strukturwandel.” (S. S. 169)
“Die fromme Glut des Urchristentums…” (S. 178) – Pietismus im Kraichgau
“Bevorzugt lieferten sich die Kombattanten publizistische Schlagabtausche per Zeitung. Mächtig rauschte es im Blätterwald.” (S. 187) – Kulturkampf
“Ihre Wohnungen wurden demoliert und geplündert, Männer und Frauen misshandelt, mancherorts konnte nur das Militär den christlichen Mob stoppen.” (S. 190) – Judenpogrome im Kraichgau, ausgeprägter Antisemitismus, 1893
“Wer hat Hitler gewählt?” (S. 200) – überwiegend die evangelische Landbevölkerung. Hitler hatte viele Anhänger im Kraichgau.
Adam zitiert Hermann Bausinger 1990: “Es gibt gefährlichere Liebschaften und unglücklichere Ehen als zwischen Baden und Württemberg.” (S. 222)
“Nicht eine einzige höhere Behörde hat im Kraichgau ihren Sitz, alle Zuständigkeiten sind angesiedelt in den am Rand liegenden Großstädten.” (242) Kreisreform
“Dass der Kraichgau eine Landschaft sei, die wenig Aufhebens von sich mache, haben wir nun zur Genüge gehört. Um ihn touristisch zu vermarkten, wäre gerade das jedoch ein denkbar fruchtloses Leitmotiv; denn wer würde sich, bei so wenig Eigenbewusstsein, für ihn interessieren?” (S. 252)
[Ende der Textzitate]
Gut gebrüllt, Löwe! möchte man rufen, nicht zuletzt im Hinblick auf das Zitat am Schluss der Liste. Endlich hat mal einer wissenschaftlich fundiert und gut lesbar festgehalten, welche Kräfte den Kraichgau geformt haben. Insofern gibt es absolut keinen Grund für Zaghaftigkeit. Der Kraichgau ist nicht Aschenputtel und will auch nicht so gesehen werden.
Sollte der Autor eines Tages daran denken, aus der “Kleinen Geschichte” eine “Geschichte” zu machen – denn so viel fehlt an einer großen Geschichte wirklich nicht – dann wäre meine Bitte, er möge der Geschichte der Stadt Bruchsal einen breiteren Raum einräumen (die “goldene” Zeit unter Damian Hugo von Schönborn, das Barockschloss, seine Bewohner, der 1. März 1945, der Wiederaufbau). Zwar ist dies alles andernorts bereits niedergeschrieben, jedoch würde es gut ins Buch passen, zumal die Stadt Bruchsal starke Signale in den Kraichgau sendet. Vielleicht könnte man dann dem Buch ein ausführlicheres Inhaltsverzeichnis und ein Register mit Orts- und Personennamen gönnen.
Ich empfehle das Buch allen Kraichgauern und Freunden des Kraichgaus, ebenso, wie allen Menschen, denen die Geschichte ihrer Heimat am Herzen liegt. Ich habe es nun zwar gelesen, werde es aber doch nicht so schnell aus der Hand legen…
Bruchsal, den 24. September 2010 Dieter Müller
Update vom 12. September 2011: Die erste Auflage ist wegen der unverändert starken Nachfrage vergriffen. Nach weniger als einem Jahr ist nun bereits im September 2011 die aktualisierte zweite Auflage erschienen. Der Autor hat die bei den Leseabenden auf 40 (!) Stationen gewonnenen Erkenntnisse eingearbeitet. -DM
Thomas Adam, Kleine Geschichte des KraichgausErschienen in der gemeinsamen Reihe des DRW-Verlages und des G. Braun Buchverlags: “Regionalgeschichte - fundiert und kompakt”. 271 S. Leinfelden-Echterdingen 2010
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