Bis heute wird über den Grund dieses Angriffs auf Bruchsal diskutiert. Was besaß die Stadt, was galt sie bei den gegnerischen Strategen, die ein solches Bombardement mit 116 viermotorigen „Fliegenden Festungen“ anordneten? Das Hauptargument für Bruchsal als Angriffsziel war seine exponierte verkehrsgünstige Lage, insbesondere der Eisenbahnknotenpunkt. Deutsches Militär und Waffenmaterial flossen über diese Verbindung nach Westen an die Front, und die Alliierten hofften, den Schienenverkehr wenigstens lähmen zu können. Weil zudem in den letzten Kriegsmonaten der noch verbliebene Durchhaltewille der Deutschen bewusst gebrochen werden sollte, waren nicht nur Bahnanlagen, sondern auch große Teile der Stadt durch den Angriff betroffen.
Über das, was während dieser knappen Dreiviertelstunde und an den Tagen danach in der Stadt geschehen ist, wurde schon viel geschrieben. Das Grauen hat Narben hinterlassen, Erinnerungen und Emotionen. Einer von denen, die ihre Eindrücke zu Papier brachten, war der Standesbeamte Josef Dreher. Dessen ganze Sorge galt an diesem 1. März 1945 seiner Frau, die im Bruchsaler Krankenhaus lag. Auf dem Weg dorthin traf Dreher den Hofpfarrer Eduard Böhler. „Seine erste Frage, ob das Schloss und seine Kirche brenne, musste ich ihm bejahen und auf seine weitere Frage bestätigen, dass wohl die ganze Stadt mit Ausnahme der Pfarrei St. Peter in Flammen stehe.“ Wenig später versuchte Dreher ins Stadtinnere und zum Rathaus zu gelangen. Alle Zugänge aber waren versperrt durch Sprengtrichter, Schuttmassen eingestürzter Häuser, eine gewaltige Flammenentwicklung und beißenden Rauch. Nach mehreren Versuchen erreichte Dreher schließlich den Holzmarkt. „Von hier aus gesehen, glich die Kaiserstraße einem einzigen Feuermeer; die Feuergewalt der brennenden Häuser rechts und links war so stark, dass die Feuergarben aus den zwei- und dreistöckigen Häusern auf der Straßenmitte zusammenstießen.“
Diese besonders verheerende Facette der Katastrophe wurde ausgelöst durch den Einsatz von fast 50.000 Stabbrandbomben. Die zahllosen Einzelfeuer, die sie in der Stadt entfachten, vereinigten sich bald zu jenem Flächenbrand, den Dreher hilflos mit ansehen musste. Durch die Flammen wurde der Sauerstoff abgezogen, giftiges Kohlenmonoxid drang in die Luftschutzkeller ein. Dort erstickten die Menschen, die sich in Sicherheit geglaubt hatten. Zu Dutzenden mussten die Toten später aus den Kellern geborgen werden.
Erst eine ganze Woche nach dem verheerenden Angriff wurde, von der hohen Zahl an Toten ganz zu schweigen, allmählich auch das materielle Ausmaß der Zerstörung deutlich. Der damalige Stadtpfarrer Alfons Beil notierte in seiner Kirchenchronik: „Ein einziges Trümmerfeld vom Eisenbahnsignalwerk in der Rheinstraße bis an die große Brücke und die Ritter- und Tunnelstraße, vom Damianstor bis zur Büchenauerbrücke. Im Gebiet der Stadtpfarrei diesseits der Bahn stehen keine zehn bewohnbare Häuser mehr.“ Zusammen mit Pforzheim zählte Bruchsal, vom Verhältnis der Trümmermenge zur Einwohnerzahl und zum Anteil zerstörter Wohnungen her gesehen, zu den am stärksten betroffenen Luftkriegszielen in Südwestdeutschland.
So hatte mit den Menschen auch die Stadt selbst nahezu alles verloren, was zuvor ihre Individualität ausmachte. Viel Unersetzliches an Bausubstanz war vernichtet: die alte Bischofsburg im Stadtzentrum, das Barockschloss, sämtliche Kirchen mit Ausnahme von St. Peter. Deren heil gebliebene Zwillingstürme überragten fortan weithin sichtbar die Ruinen der völlig zerstörten Altstadt. Vielen Bruchsalern hat sich dieses symbolstarke Bild unvergesslich eingeprägt.
Auszug aus: Thomas Adam: Kleine Geschichte der Stadt Bruchsal, 2006
|