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Flüchtlinge in Bruchsal | Ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit

4. Dezember 2015. Mehrnousch Zaeri-Esfahani sprach am 3. Dezember 2016 im Haus der Begegnung zum Thema “Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit”. Sie gab den zahlreich anwesenden Ehrenamtlichen wertvolle Tipps, die ihre Arbeit mit Flüchtlingen erleichtern sollen und vielleicht zum besseren Verständnis so manchen rätselhaften Verhaltens beitragen. Lesen Sie meinen Bericht. Vieles musste gekürzt werden und spiegelt nicht im Detail die Rede der Referentin wider.

Mehrnousch Zaeri-Esfahani

Frau Zaeri-Esfahani hatte mehr als zwei Stunden ein aufmerksames Publikum. Alle wollten lernen - was passiert, wenn zwei Kulturen aufeinander prallen. Wie ist das für uns manchmal seltsame Verhalten der Flüchtlinge zu erklären? Man will doch nur helfen - und dann das!

Mehrnousch Zaeri-Esfahani und Fürüzan Kübach
Mehrnousch Zaeri-Esfahani (li.) und Fürüzan Kübach (Stadt Bruchsal)

Es war nicht schwer, der Referentin bei dem manchmal hochkomplexen Thema zu folgen, da sie treffende Beispiele aus der Praxis zu nennen wusste. Beispiele auch aus der eigenen Familie, die vor dreißig Jahren ihre iranische Heimat verließ. Groß war das Erstaunen der Schulkinder, als sie das erste Mal an der Straßenbahnhaltestelle den dort eigens in einem Kästchen ausgehängten Fahrplan lasen. Für 9.08 Uhr war die Straßenbahn angekündigt und für 9.18 Uhr die nächste! Unglaublich, wo gibt’s denn sowas?! Als die Bahn pünktlich auftauchte, waren die Kinder fassungslos. Wohlgemerkt: Iranische Großstadtkinder aus gebildetem Elternhaus. Dasselbe Erstaunen erleben jetzt vermutlich Hunderttausende von Flüchtlingen, die sich an Deutschland und das hiesige Zeitgefühl gewöhnen müssen. Dieser Prozess wird dauern.

Bei der Gelegenheit wurde der häufig gehörte Spruch eines Afrikaners zitiert: “Ihr Europäer habt die Uhren - aber wir haben die Zeit!”

Deshalb lautete die erste Empfehlung der Referentin: Seid nicht ungeduldig. Nehmt Euch Zeit! Beim ersten Treffen muss eine gemeinsame Vertrauensbasis hergestellt werden. Erst danach geht es zur Sache. Vielleicht werden Sie bei der ersten Kontaktaufnahme noch nicht auf den Punkt kommen. Unterschätzen Sie nicht die Bedeutung das “Palavers”. Oft ist es viel wichtiger, als die Sache selbst.

Sobald wir Ehrenamtliche die Sache forcieren, um auf den Punkt zu kommen, besteht die Gefahr, dass das Vertrauen völlig verloren geht. Der Ehrenamtliche muss sich auf das Zeitgefühl seines Gegenüber einstellen, wohingegen er nicht damit rechnen kann, dass umgekehrt ebenso gedacht wird. Bei knapper Zeit ist das ein Riesenproblem. Trotzdem: Nehmt Euch Zeit! Oft reicht es, einfach nur für den Anderen da zu sein.

Seien Sie vorsichtig mit Kritik. Wer hört Kritik schon gerne? Auch sog. “sachliche” Kritik wird augenblicklich persönlich genommen. Achten Sie darauf, dass Ihr Gegenüber immer die Möglichkeit hat, sein Gesicht zu wahren. Ein großes Thema: die Scham. Scham ist ein sehr starkes Gefühl - und das Schlimmste ist, wir merken es oft nicht, wenn wir einen Menschen verletzen und er sich schämen muss.

Viele kulturellen Unterschiede beruhen darauf, dass wir als aufgeklärte Menschen immer das Individuum in den Vordergrund stellen, vielen Flüchtlingen jedoch eine kollektivistische Verhaltensweise in die Wiege gelegt wurde. Uns ist die Freiheit des Einzelnen wichtig, ihnen das Leben im Kollektiv - in der Familie, besser Großfamilie, mit Großeltern, Onkeln und Tanten. Wir streben nach Individualität, sie nach Anpassung im Kollektiv. Das Kollektiv ist für sie überlebenswichtig, und man möge sich vorstellen, was es bedeutet, in einem fremden Land von heute auf morgen für sich allein zu stehen.

Eine kollektivistische Gesellschaft steht der Demokratie unserer Prägung fern. Der kollektivistische Mensch versteht unser Staatswesen nicht. Er begreift nicht, dass es Gesetze und Regelungen gibt, die - im positiven Sinne - auch für ihn gelten. Er hat gelernt, für alles zu kämpfen. Er vertraut keiner Behörde. So kommt es, dass Flüchtlinge manchmal aufdringlich, fordernd, undankbar erscheinen, wenn sie ihr Anliegen vorbringen - unwissend, dass längst alles in ihrem Sinne gesetzlich geregelt ist.

Der kollektivistische Mensch hat absolut keine Vorstellung vom Ehrenamt. Deshalb fällt es ihm schwer, eine Erklärung für das Wirken der Ehrenamtlichen zu finden.

Hilfe zur Selbsthilfe - ist die Triebfeder unseres Handelns: Selbstbewussten Bürgern soll geholfen werden, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen, damit sie künftig auf eigenen Beinen stehen können. Wie aber soll man das einem Flüchtling beibringen, der von seiner Person als freies, selbständiges Individuum nicht die geringste Vorstellung hat?

Konflikte im Schulbereich sind vorprogrammiert. Wir sehen die Erziehung der Kinder als gemeinsame Aufgabe von Elternhaus und Schule, mit Elternabenden und Gesprächen zwischen Eltern und Lehrer. Diese Denkweise ist Flüchtlingen fremd. Sie akzeptieren, dass alles von der Schule geregelt wird, alle Kommandos von dort kommen, und sie fühlen sich unwohl bei Gesprächen auf Augenhöhe.

Rangordnungen oder besser Hackordnungen im Beruf oder täglichen Leben sind für Flüchtlinge von größter Bedeutung. Deshalb ist es aus ihrer Sicht ein unverzeihlicher Fehler, wenn der Chef Untergebene auf Augenhöhe behandelt. Damit verliert er jeglichen Respekt und erntet künftig nur noch Verachtung.

4. Nov. 2015. Im Haus der Begegnung, Tunnelstraße 27, 76646 Bruchsal fand am 3. Dezember 2015 von 17 bis 19.30 Uhr ein Kurs zur Erweiterung von Kompetenzen in der Flüchtlingsarbeit sowie zur Vermeidung von Missverständnissen in der Kommunikation statt. Referentin: Mehrnousch Zaeri-Esfahani. Info/Vortrag auf ihrer eigenen Website. Falls Sie als Teilnehmer an einer PDF-Datei mit den PPT-Folien interessiert sind, melden Sie sich bitte bei Frau Fürüzan Kübach.
© Dieter Müller

 

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